Selbstbewusstsein - was genau ist das eigentlich?

Zur Einführung eine kleine Geschichte:
Es war einmal eine Kerze, die strahlte so hell, dass sie es vermochte einen Raum von unvorstellbarer Weite zu erfüllen. Ihre Flamme war so hell, dass die Kerze als solche gar nicht erkennbar war. Ihr Licht trug eine wohltuende Wärme in sich. In ihren Strahlen lag Glückseligkeit und eine tiefe Ruhe. Hätte die Kerze einen Namen gehabt, so hätte sie wohl 'Liebe' geheißen. Kein anderer Begriff hätte ihre Ausstrahlung treffender beschreiben können.

Das allerschönste war, dass sich 'Liebe' nicht alleine in diesem unendlichen Raum befand. Da waren noch unzählige andere, wunderschön leuchtende Kerzen. Denn: Eine einzige Kerze konnte niemals in dem Maße leuchten, wie sie es in der Gruppe tat. Sie standen sich in nichts nach, jede war so schön wie die andere. All diese strahlenden Kerzen hatten nur ein einziges Bestreben - ihr liebreizendes Licht leuchten zu lassen. Mehr brauchten sie nicht.

Es kam der Tag, an dem viele der Kerzen entschieden, an einen anderen Ort zu gehen. Sie freuten sich auf diese neue Erfahrung und waren fest entschlossen auch an ihrem neuen Platz ihrem Wesen zu entsprechen.

Doch zeigte sich im Laufe der Zeit, dass dies nicht so einfach möglich war. Ihre Flammen wurden immer schwächer. Ihr Licht schien langsam nachzulassen. Und wieder war allen etwas gemein: Keine von ihnen konnte sich daran erinnern, was ihr eigentliches Wesen war. Sie vergaßen es einfach. Stattdessen war nun zunehmend ihre materielle Beschaffenheit und deren Form erkennbar, gleichzeitig gewann diese an enormen Wert. Man stellte fest, dass diese Form wandelbar ist. Das Wachs war ganz leicht formbar, man brauchte dazu noch nicht einmal zu brennen. Man begann sich gegenseitig zu formen. Man begann sich sogar anderen Formen anzupassen. Diese Vorgänge geschahen meist vollkommen unbewusst. Es war dieses spezielle und vertraute Gefühl, das dabei entstand. Dennoch blieb es immer unbefriedigend. Irgendwas fehlte. Und so veränderten sie stetig ihre Form. Ganz tief in sich drin wussten die Kerzen allerdings, dass sie sich nichts Gutes damit taten, denn ihre Sehnsucht blieb bestehen. Und je mehr sie sich veränderten, desto schwerer fiel ihnen die Beantwortung der Frage, wonach sie sich überhaupt sehnten.

Selbstbewusstsein - so oft gebrauchen wir dieses Wort und nur selten machen wir uns Gedanken über dessen tatsächliche Bedeutung. Selbstbewusst ist...jemand der von sich überzeugt ist...jemand, der sich hübsch findet...jemand, der Mut beweist...jemand, der gerne in der Öffentlichkeit spricht...jemand, der sich nicht darum kümmert, was andere über ihn denken. Das waren die ersten Beispiele, die mir zugetragen wurden, als ich mehr über diesen Begriff in Erfahrung bringen wollte.

Duden schlägt folgendes vor:

a. (Philosophie) Bewusstsein (des Menschen) von sich selbst als denkendem Wesen

b. Überzeugtsein von seinen Fähigkeiten, von seinem Wert als Person, das sich besonders in selbstsicherem Auftreten ausdrückt.

Synonyme zu Selbstbewusstsein

Selbstsicherheit, Selbstverliebtheit, Selbstvertrauen, Sicherheit, Stolz, Überheblichkeit; (gehoben) Selbstgewissheit, Siegesgewissheit; (abwertend) Arroganz, Dünkel, Selbstherrlichkeit; (veraltend) Überhebung; (Psychologie) Selbstwertgefühl.

Erstaunlich finde ich vor allem die Vielfalt an negativen Synonymen. Ich persönlich würde "Selbstbewusstsein" niemals mit "Arroganz", "Überheblichkeit" oder Ähnlichem in Verbindung bringen.

Treffender erscheinen mir die Begriffe "Selbstsicherheit", "Selbstvertrauen" und "Selbstwertgefühl". Interessant ist hier vor allem die Gleichsetzung der jeweiligen Begrifflichkeiten.

Meinem Gefühl nach, bedingt das eine das andere bzw. bildet das Bewusstsein von sich selbst die Voraussetzung dafür, dass wir uns überhaupt als wertvoll empfinden und somit auf uns und unsere Fähigkeiten vertrauen können.

Was sind nun also tatsächliche Indizien für Selbstbewusstsein? Und wie entwickelt sich dieses?

Um dieser Frage gerecht zu werden, möchte ich zunächst gerne ein Teil meiner persönlichen Erfahrung schildern.

Als Nesthäkchen genoss ich schon immer eine besondere Stellung, was heißen soll, dass ich als jüngstes Kind von dreien und mit 8 bzw. 10 Jahren Abstand zu meinen Geschwistern mit einer ganz speziellen Freude erwartet wurde. Dies bedeutet keineswegs, dass meine Schwester oder mein Bruder weniger willkommen waren. Ich erwähne dies vor allem deshalb, weil ich gewissermaßen besonders viel Raum zur persönlichen Entfaltung hatte und mich in vielerlei Hinsicht an meinem Geschwistern orientieren konnte. Ich habe mich durch deren Anwesenheit immer sehr beschützt und geborgen gefühlt. Die Liebe, die mir zugetragen wurde, war einer der ausschlaggebenden Faktoren, die mein Selbstbewusstsein im Sinne von Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl wachsen ließen. Ein weiterer Faktor war die Tatsache, dass meine Mutter mir immer und immer wieder sagte, wie stolz sie auf mich ist. Dass ich genau so, wie ich war, richtig bin. Misserfolge gab es nicht, nur Erfahrungen, die einen reicher machen und wachsen lassen. Niemals wurde ich getadelt. Bei einem Rückschlag bekam ich umso mehr Zuspruch. All meine äußerlichen und inneren Qualitäten wurden mehr als geschätzt und gefördert.

Nun, war ich deshalb selbstbewusst? Ja und Nein. Für die meisten muss ich das gewesen sein. Reden in der Öffentlichkeit war für mich selbstverständlich. Hübsch fand ich mich auch. Außerdem glaubte ich, weitestgehend von meinen inneren und äußeren Fähigkeiten überzeugt zu sein. Manch einer hätte sich vielleicht auf die oben stehenden Synonyme bezogen und evtl. das Attribut "überheblich" oder "arrogant" gewählt, um mein Auftreten zu beschreiben - über die Wahrnehmung anderer werde ich nachher noch ausführlicher eingehen, handelt es sich hierbei doch um eine Einflussnahme, die unser ganzes Heranwachsen und somit unser gesamtes Leben prägt.


Worauf ich mit diesem kleinen Exkurs hinaus möchte:

Nur weil jemand eine gewisse Sicherheit ausstrahlt, bedeutet das nicht, dass er sich seiner Selbst und seiner Person tatsächlich bewusst ist, somit um seinen Wert weiß und daher voller Selbstvertrauen im Leben steht.

Auch wenn ich über 2/3 meines Lebens von mir behaupten konnte, selbstbewusst gewesen zu sein, so weiß ich heute, dass dies nur ein Teil des Weges war. 

Die Art und Weise, wie sich unser Selbstbewusstsein ausprägt, mag einerseits etwas ganz individuelles sein und gleichzeitig unterliegt es immer dem gleichen Prinzip.

Eltern mögen noch so oft ihrem Kind zeigen, wie wertvoll es ist und dies noch so sehr empfinden. Wenn es unseren Vorbildern jedoch selbst an Selbst - Bewusstsein mangelt, dann können wir als deren Nachwuchs nie wirklich fühlen, was wir stets gezeigt und gesagt bekommen. Unterbewusst werden wir weiterhin an uns und unseren Fähigkeiten zweifeln - eben so, wie auch unsere von Selbstzweifeln eingenommenen Vorbilder an sich zweifeln.

Eine andere und dazu noch viel schmerzlichere Erfahrung ist es, wenn Orientierungspersonen sich wenig oder überhaupt keine Mühe geben, ihren Kindern Selbst-Bewusstsein und somit Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu schenken - sei es durch Ignoranz oder durch verletzende Taten, Worte und Gesten.

Wir sind zunächst all das, was andere von uns denken und von uns erwarten.

Das müssen wir sogar sein, denn nur so fühlen wir uns akzeptiert und angenommen. Angefangen in der Kindheit, zieht sich dies durch unser ganzes Leben. Wir werden laufend Erfahrungen machen, die uns stets bestätigen, dass wir das sind, was wir glauben zu sein. Aber ist das tatsächlich unsere Wahrheit? Sind wir wirklich das, was andere über uns gesagt und gedacht haben? Oder anders formuliert:

Sind wir wirklich das, was wir sein wollen? Entsprechen wir unserem wahren Wesen?

Der Beantwortung dieser Frage auf die Spur zu kommen, erweist sich in den allermeisten Fällen als ziemliche Herausforderung, werden wir doch in ein System geboren, auf das wir im ersten Drittel unseres Lebens kaum Einfluss nehmen können. Als Kind funktionieren wir so, wie es von uns erwartet wird. Wir passen uns der Gruppe an, denn das sichert unser Überleben. Es handelt sich geradezu um einen Urinstinkt. Wir können (vor allem als Kind) gar nicht anders als den Erwartungen unseres nächsten Umfelds gerecht zu werden und dabei müssen die jeweiligen Erwartungen noch nicht einmal laut ausgesprochen oder bewusst gestellt werden. Vieles vollzieht sich auf unbewusster Ebene und prägt sich dadurch umso tiefer in unser heutiges Denken ein. Wir entwickeln automatisch eine Überlebensstrategie, die uns fortwährend die Idee eines beseelten Daseins verspricht. Paradoxerweise sind es ebenjene Strategien, die den Zugang zur wahrhaftigen Beseeltheit verschlossen halten, ihn geradezu verstopfen.

Werfen wir nun einen Blick auf den zweiten Teil der Kerzen – Geschichte:

Es war mühsam, sich immer wieder umzuformen und sich an den anderen Kerzen zu orientieren. In der ersten Zeit versprach es einem noch dieses wunderbare Gefühl, das man von irgendwo her kannte, aber nicht zu benennen vermochte. Eine Art Akzeptanz, welche die vermeintliche Idee von unermesslicher Liebe in sich trug. Jedoch fanden die Kerzen darin letztlich keine Erfüllung, mochten sie sich auch noch so sehr anstrengen. Sie wurden immer trauriger, hoffnungsloser und lebensmüder. Je mehr Jahre vergingen, desto mehr schien all das zur Normalität zu werden und so fanden sich die meisten am Rande ihrer Verzweiflung wieder. Viele von ihnen fühlten sich schließlich einem willkürlichen Schicksal ausgeliefert, auf das sie trotz aller Einflussnahme keinen Einfluss zu haben schienen.

Es kam der Tag, da beschloss eine der Kerzen, dass sie auf diese Weise nicht weiter bestehen wollte. Sie stellte sich der Frage, warum alles war, wie es war. Und so vergingen Monate der Reflexion und Meditation. Zusammenhänge wurden plötzlich so klar, dass sie nicht fassen konnte, wie lange sie im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln tappte. Dieser Prozess der Rückbesinnung war mitunter schmerzhaft. Doch gleichzeitig geschah etwas, das schöner und vollkommener war als alles, was sie bisher in diesem Leben erfahren hatte. Sie begann wieder zu leuchten. War die Flamme anfangs noch ganz klein und kaum erkennbar, so brannte sie mit jedem Tag etwas heller. Endlich! Endlich spürte sie, wonach sie sich immer sehnte. Sie begann sich zu erinnern. Es fühlte sich an, wie nachhause kommen.

Selbstverständlich blieb diese Veränderung nicht unbemerkt. Da waren viele Kerzen, die diesen Vorgang nur ungern beobachteten, auch wenn sie sich insgeheim wünschten, dass auch ihr Licht wieder zu strahlen begann. Jedoch war es für sie einfacher dafür zu sorgen, dass die Flamme der anderen klein gehalten oder gar gelöscht wurde, anstatt sich selbst zu entzünden. Sie wussten es einfach nicht besser. Diese Kerzen verschafften sich auf diese Weise vermeintliche Befriedigung, ohne dabei eine böse Absicht zu verfolgen.

Und dann waren da noch jene, die es der leuchtenden Kerze nachmachten. Sie wollten auch dieses zauberhafte Gefühl spüren. Es entstanden neue Gemeinschaften. Man half sich gegenseitig. Und je mehr Licht entstand, desto glücklicher waren sie. Endlich erinnerten sie sich an ihr wahres Wesen.

Sie gewannen an Selbstwertgefühl, indem sie sich ihrer Selbst bewusst wurden. Sie begannen zu vertrauen – in sich selbst und in das Leben.

Betrachten wir an dieser Stelle noch einmal einen Teil der Definition, wie wir sie im Duden wiederfinden:

b. Überzeugtsein von seinen Fähigkeiten, von seinem Wert als Person, das sich besonders in selbstsicherem Auftreten ausdrückt.

Kannst du diese Aussage auf die Geschichte der Kerzen übertragen?

Wenn wir uns darüber klar werden, dass unsere Fähigkeiten sowie der Wert unserer Person etwas ist, dass nicht im Außen, sondern INS UNS liegt, dann haben wir die Möglichkeit zu wahrhaftigem Selbstbewusstsein zu gelangen.

 

Stück für Stück legen wir Hüllen ab, die wir uns nicht selbst auferlegt haben, sondern derer wir uns annehmen MUSSTEN. Wir hatten keine andere Wahl, so wie auch unsere Eltern keine andere Wahl hatten. Wir haben uns angepasst, um ein Gefühl zu spüren, wonach wir uns alle von Natur aus sehnen, aber das wir auf diese Weise nicht erhalten konnten.

Wir dürfen unser Licht leuchten lassen. Wir dürfen unsere eigene Wahrheit erfahren und leben.

Wenn wir bereit sind, uns unverschleiert unserem Ego stellen und dieses als etwas an - zuerkennen, das nicht einer endgültigen Wahrheit entspricht, dann werden wir uns erinnern. Wir werden unser wahres Wesen spüren. Wir werden wieder brennen.

Kennst du das unbehagliche Gefühl, dass du eine Wahrheit lebst, die nicht deine ist? Hast du schon eine Ahnung, wessen Wahrheit du lebst oder bist du sogar schon dabei, alte Hüllen abzulegen? Wie geht es dir dabei und wie reagiert deine Umwelt darauf?

Ich freue mich, wenn du deine Erfahrungen und Gedanken mit mir teilst, entweder per Email an hallo@sofia-christodoulou.de oder hier in einem Kommentar.

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